Stubenhockerei

Wir gehen nie hinaus, wir bleiben nur zuhaus'.

Fahrraddiebe (1948)

Der Wert eines Velos

Über Ladri di biciclette (dt. Titel Fahrraddiebe) von Vittorio de Sica (1948) könnte ich nun fast das Gleiche schreiben wie über The Elephant Man (s.u.): Genau wie diesem gelingt es auch Fahrraddiebe, unglaublich traurig und gefühlvoll zu sein, ohne in Gefühlskitsch abzurutschen. Schon dies allein ist natürlich eine große Leistung.

Fahrraddiebe handelt von Ricci, der nach langer Arbeitslosigkeit im vom Krieg verwüsteten Rom endlich eine Stelle als Plakatankleber zugeteilt bekommt. Dafür braucht er jedoch ein Fahrrad, und dies stellt ihn schon zu Anfang des Films vor ein tragisches Problem: Sein Fahrrad ist beim Pfandleiher. Schließlich gelingt es ihm doch, sein Fahrrad zurückzuerhalten; er beginnt seinen neuen Job, kann endlich wieder Geld nach Hause und somit Essen auf den Tisch seiner Familie bringen… nun heißt der Film aber „Fahrraddiebe“ – und jeder noch so naive Zuschauer wird diese paar Informationen soweit zu kombinieren Imstande sein, als dass er natürlich nur darauf wartet, dass Ricci sein Fahrrad gestohlen wird.

Ohne zuviel verraten zu wollen: Ja, man stiehlt Ricci das Fahrrad; nein, die Geschichte ist nicht so vorhersehbar, wie man denken könnte.

Zwei Aspekte gefielen mir besonders an dem Film:
1) Fahrraddiebe verwandelt eine Tat, die von außen betrachtet zunächst wie eine Lappalie erscheint – ein Fahrraddiebstahl – in eine wirklich bewegende Geschichte. Der Fahrraddiebstahl erhält im Kontext des Films eine höhere Bedeutung; das Fahrrad ist nicht nur ein Fahrrad, sondern die ganze Existenz Riccis und seiner Familie.
2) Der Film ist in seiner Geschichte durchaus sozialkritisch und zeigt auch darüber hinaus immer wieder die sozialen Unterschiede im Italien der Nachkriegszeit auf; anders als viele Filme mit einem ähnlichem Sujet (Probleme der Unterklasse, Armut führt zu moralischen Dilemmata) verweist er jedoch nicht auf ein bestimmtes ideologisches Allheilmittel. In einer Szene, in der Ricci versehentlich ein Treffen der kommunistischen Partei stört, wird diese genauso negativ porträtiert wie bourgeoise Figuren oder kirchliche Authoritäten in anderen Szenen. Die Nebenfiguren des Films, gleich welcher Klassenherkunft, sind ausgesprochen heterogen; einige sind hilfsbereit, andere sind selbstsüchtig und boshaft. Letztendlich sind es nur einzelne Menschen, die zumindest versuchen, Ricci zu helfen – und keine idealisierten Gruppen.

Ein einfacher, aber schöner und trauriger Film mit den oben genannten Pluspunkten. 93 min. (8/10)

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 1. Dezember 2011 von in Filme und getaggt mit , , , , , .
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