Stubenhockerei

Wir gehen nie hinaus, wir bleiben nur zuhaus'.

The Cremator (1969)

Spalovač mrtvol (The Cremator, 1969) von Juraj Herz ist eines der wichtigsten Werke der Tschechoslowakischen Neuen Welle – einer innovativen, unheimlich vielseitigen Filmkunstbewegung, die in den sechziger Jahren, bevor schließlich sowjetische Panzer durch Prag rollten, in dem Land entstand. Wie auch viele andere Filme dieser Bewegung übt The Cremator subtil Kritik am Kommunismus bzw. am sowjetischen Einfluss auf das Land – doch halte ich es für einen gewaltigen Fehler, die Tschechoslowakische Neue Welle auf diese Kritik reduzieren zu wollen.

Karel Kopfrkingl (nicht „Kopfkringel“) ist Kremateur – Kremateur mit Leidenschaft. Mit seiner ganzen Überzeugung versucht er, seiner Umgebung die erneuernde, erlösende Seite des Todes nahe zu bringen. Immer wieder beruft er sich auf den tibetischen Buddhismus, durch den er den Tod sakralisiert, und ihn zu einem erhabenen Schlusspunkt des Lebens zu verwandelt versucht. Wir sehen Herrn Kopfrkingl bei Ansprachen, beim Gang durchs Krematorium, und vor allem sehen wir ihm dabei zu, wie er anderen – seiner Familie, seinen Freunden – Vorträge hält. Über den ganzen Film halten wir uns außerordentlich nah an dieser Figur – während die Räume und Personen um sie herum unerwartet wechseln, bleibt Kopfrkingl scheinbar immer derselbe: unsere Konstante. Und der Darsteller Rudolf Hrušínský bietet eine beeindruckende, einnehmende Performance.

Nun spielt die Geschichte der Kopfrkingls ausgerechnet zwischen den Jahren 1938 und 1939, und die Nazis übernehmen die Tschechoslowakei, die nun plötzlich wieder Böhmen und Mähren genannt wird, und sie interessieren sich – man ahnt, weshalb – für den Kremateur mit dem deutschen Nachnamen.

Man könnte behaupten, im Laufe des Films gerät Kopfrkingl in den Sog der Nazis (im Film nur als „Partei“ bezeichnet –  man rate, weshalb), man könnte behaupten, sie manipulierten ihn und trieben ihn zu den schrecklichen Taten, die sich in Folge entwickeln. Vieles im Film deutet genau dies an – doch letztlich bleibt eine starke Ambivalenz: Denn Kopfrkingls plötzliche Identifikation mit seinem „germanischen Blut“ wird noch überschattet von seiner halluziatorischen Überidentifikation mit dem Buddhismus und seiner Philosophie der Erlösung durch den Tod. Kopfrkingl nimmt nun das Erlösen der gequälten Seelen selbst in die Hand.

Dies wiederum ließe sich natürlich leicht als Seitenhieb gegen den angeblich so todessehnsüchtigen Buddhismus verstehen – und natürlich als Hinweiß auf die Faszination vieler Nazis für Tibet und den tibetischen Buddhismus (die Tibet-Expedition, die verschollenen Arier, etc.). Andererseits ist der Buddhismus sicher nicht todessehnsüchtiger als einige Teile des Christentums – und, zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung, eine recht friedfertige Religion (das Bild des folternden christlichen Mönches ergibt sich angesichts der Inquisition doch leichter als das Bild eines blutrünstigen Buddhisten).

Ich denke, diese bewusste Ambivalenz dient in diesem Film vor allem einer viel einfacheren, aber auch bedeutenderen Aussage: Sie zeigt, dass Menschen nicht nur furchtbare Taten begehen, weil sie – wie die Nazis in diesem Film – moralisch korrupt und verdorben sind, sondern auch, weil sie glauben, mit ihren Taten der Menschheit etwas Gutes zu tun. Kopfrkingl sieht sich als Erlöser, der seinen Opfern ein ihnen überhaupt nicht bewusstes Leid erspart – und er merkt nicht, wie er selbst zur Ursache dieses Leides wird. Kopfrkingl mordet nicht aus Mordlust, nicht zu seinem eigenen Vorteil oder Vergnügen – er mordet, so glaubt er, zum Wohle seiner Opfer.

Man kann natürlich behaupten, Kopfrkingl rede sich dies nur ein, um mit seinen vollkommen eigennützigen Motiven fertig zu werden. Auch dies ist denkbar – dennoch nimmt er sich selbst nicht so wahr. Er glaubt an sich und an den Nutzen seiner Taten – mehr als jeder Nazi.

Der Film ist großartig inszeniert: Seine neo-expressionistischen Weitwinkelaufnahmen, seine räumlichen Sprünge, sein kontrastreiches Bild, seine exzentrischen Bildausschnitte, seine bedrohliche Musik, die sich nicht visuell entlädt: Alles passt, alles trägt zur Erschaffung einer sehr eigenartigen, sehr speziellen Atmosphäre bei. Verschiedene Internetseiten nennen entweder die Brüder Quay oder Jan Švankmajer als Fans dieses Films; beides kann ich mir gut vorstellen. Ich jedenfalls bin ein Weiterer. Beide Daumen hoch, ganz hoch.

95 Min.

Ein Kommentar zu “The Cremator (1969)

  1. Pingback: Byt (1968) | Stubenhockerei

Hinterlasse einen Kommentar

Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 20. Februar 2012 von in Filme und getaggt mit , , , , , , , .
unsoundaesthetics

Alternative, elektronische und instrumentale Musik

ergothek

Der Blog mit dem DeLorean

Strange Flowers

Highly unusual lives.

KinoKlandestin

Das freie studentische Kino der BUW

licence d'artiste

par benoit david

MISE EN CINEMA

Filmreviews.

der breite grat

Filmbesprechungen für einen Grat statt Graben zwischen Arthouse und Exploitation