Stubenhockerei

Wir gehen nie hinaus, wir bleiben nur zuhaus'.

Jewgeni Onegin (1837/1980)

Über Alexander Puschkins Versroman Jewgeni Onegin wurde schon so viel gesagt und geschrieben, dass die Welt wirklich nicht noch eine weitere Meinung zu diesem Werk braucht. Dessen bin ich mir bewusst. Alles, was ich hier über Jewgeni Onegin kundtun kann, ist meine schiere Begeisterung über dieses Buch.

Naja, ich sollte eher schreiben: Über dieses Buch und über Rolf-Dietrich Keils Übersetzung dieses Buchs, die sich soweit wie nur möglich an die formellen Eigenschaften der verwendeten Strophen (die nach dem Buch übrigens „Oneginstrophen“ genannt werden) hält und gewissermaßen ein eigenes Buch darstellen muss – ja, das lässt sich selbstverständlich über jede Übersetzung sagen, doch hinter einer solchen Versübertragung, die dabei noch die Wortwahl berücksichtigt, muss ein so unendliches Maß an Kreativität stecken, dass dieser scheinbare Allgemeinplatz hier seine banale Bedeutung weit übersteigt. Dazu wirkt diese Übersetzung stets flüssig, passend und, wie auch der Puschkin’sche Inhalt, ausgesprochen gewitzt.

Wo wir beim Puschkin’schen Inhalt wären, der angesichts der Schönheit seiner äußeren Form und Komposition beim Lesen manchmal in den Hintergrund rückt: Der Held dieses Romans, Jewgeni Onegin, ist ein typisch russischer „überflüssiger Mensch“ – reich, desinteressiert, überheblich und insgesamt irgendwie nutzlos. Das klingt vielleicht nach einem Anflug von Russophobie; es handelt sich allerdings um ein verbreitetes literarisches Motiv, welches man häufig in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts findet (weitere Beispiele sind die Hauptfiguren von Lermontows Ein Held unserer Zeit und Gontscharows Oblomow). Und „unser“ Onegin (wie er dem Leser im Buch vorgestellt wird) scheitert letztendlich daran, dass er – desinteressiert und überheblich, wie er eben ist – die gute Tatjana verschmäht. Darüber hinaus passiert im Grunde so wenig, dass es jede weitere inhaltliche Angabe einen Spoiler darstellen würde. Naja, ein Duell gibt es – zur Mitte des Textes – auch, aber wie gesagt: Zu viel möchte ich nicht preisgeben (vor allem natürlich für Dich, mein Herr Fräulein Himbär, derie Du das Buch vielleicht irgendwann lesen magst).

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Es mag nicht viel bedeuten von jemandem, der 1) bis heute morgen noch dachte, einer der wichtigsten russischen Romane hieße Die Gebrüder Kasparow und 2) erst seit Jewgeni Onegin versteht, was ein Jambus ist; aber ich habe Jewgeni Onegin wirklich geliebt. Ich habe sicherlich schon aufregendere Bücher gelesen; ich habe Bücher gelesen, die mich persönlich tiefer berührten; aber selten habe ich ein Buch gelesen, das ich gleichzeitig als so schlicht und doch als so kompliziert empfand; in das ich immer wieder hereinschauen wollte, obwohl ich nie das Gefühl hatte, irgendetwas missverstanden zu haben; ich Stellen auch dann mit voller Aufmerksamkeit ein zweites Mal las, wenn ihr Inhalt sich mir schon bei der ersten Lektüre voll erschlossen hatte. Und kaum ein Buch wirkt auf mich so rund, so vollständig und so in sich geschlossen – und das trotz seines Endes!

Aber auch davon schreibe ich nun nicht mehr.

Ein Kommentar zu “Jewgeni Onegin (1837/1980)

  1. Herr Fräulein Himbär
    4. Juli 2012


    so desinteresiert und überheblich Du auch bist, mein liebster schmock, verschmähst Du mich also nicht?. 🙂

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 4. Juli 2012 von in Literatur und getaggt mit , , , , , , , .
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